Eine Demenz-Welle rollt auf die Schweiz zu! Was tun?

von Maja Sommerhalder

Die Demenzfälle steigen, gleichzeitig wird das Pflegepersonal knapper. Der Demenzexperte und ehemalige Heimleiter Michael Schmieder plädiert deshalb dafür, dass die Betroffenen möglichst lange zu Hause leben. Doch wie ist das möglich und was bedeutet die Diagnose Demenz für alle Beteiligten?

Die weltweiten Demenzfälle könnten sich gemäss einer Studie bis 2050 verdreifachen – Hauptgrund ist die demografische Entwicklung. Was bedeutet das für die Schweiz?

Wir stehen vor einer gewaltigen Herausforderung – unabhängig davon, wie hoch der Anstieg tatsächlich sein wird. Derzeit leben etwa 20 Prozent der Menschen mit einer demenziellen Erkrankung in einem Heim. Dieser Anteil darf nicht steigen, denn in den Einrichtungen fehlt schon heute das Personal. Deshalb sollte man die nicht-stationären Strukturen verbessern. Das ist auch deutlich günstiger als ein Heimaufenthalt. 

Was meinen Sie damit?

Menschen mit einer demenziellen Entwicklung sollten möglichst lange zu Hause leben können und somit in der Gesellschaft bleiben. Schliesslich sind sie soziale Wesen. Dazu braucht es nachbarschaftliche Strukturen und Hilfe bei Demenz – zum Beispiel Treffpunkte, in denen sich ältere Menschen mit und ohne Demenz gegenseitig unterstützen. So könnte etwa ein Nachbar regelmässig bei einer erkrankten Person vorbeischauen und ihn ab und zu zum Kaffeetrinken ausführen. Ebenfalls sollte die ambulante Pflege ausgebaut und die Angehörigen in der Demenzpflege besser ausgebildet und entlöhnt werden. 

 

Michael Schmieder

Die Diagnose Demenz stellt die Angehörigen vor grosse Herausforderungen.

Ja, gerade kurz nach der Diagnose ist die Angst für Angehörige gross. Man weiss nicht, was auf einem zukommt. Fragen tauchen auf: Wie lange kann die Person noch selbstständig leben? Wer übernimmt die Pflege? Was hilft bei Demenz? Wie werden Erbfragen geregelt? Ich habe deshalb demenzwiki.ch mitentwickelt, wo sich die Betroffenen informieren können. 

Erhöht Technik die Lebensqualität und Sicherheit in den eigenen vier Wänden?

Auf jeden Fall sind Notrufsysteme wie Uhren für die Betroffenen und ihre Angehörigen eine grosse Erleichterung. Natürlich gibt es da auch Grenzen, so können etwa die Geräte Stürze nicht erkennen. Derzeit wird in der Pflege auch viel über Roboter diskutiert, die gewisse Aufgaben übernehmen können. Ich bin da offen, dass diese auch zu Hause eingesetzt werden. 

Limmex entwickelt derzeit eine digitale Pflegeanwendung für Angehörige in Kombination mit einer Demenz-Uhr. Diese soll speziell auf die Bedürfnisse von demenziell erkrankten Menschen und ihren Angehörigen zugeschnitten werden. Was sollte eine Demenz-Uhr Ihrer Meinung nach können?

Grundsätzlich ist es gut, wenn man mit einer Demenz-Uhr im Notfall per Knopfdruck einen Alarm auslösen kann. Allerdings sind dazu nicht mehr alle demenziell Erkrankten fähig. Wichtig ist, dass die Uhr tatsächlich getragen wird. 

Ein Bekannter von mir hatte die Idee, dass die Betroffenen auf ihrem Handy alle paar Stunden vibrierende Töne erhalten. Um diese auszuschalten, müssen sie auf einen Button klicken. So wissen die Angehörigen, dass alles okay ist. Natürlich wäre “dieser umgekehrte Alarm” auch über eine Demenz-Uhr möglich. 

Müssen Angehörige ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie eine demente Person nicht pflegen können oder möchten und sich dafür Hilfe holen?

Überhaupt nicht. So haben etwa Angehörige oft das Gefühl, sie müssten zu ihren dementen Eltern ziehen und dort die Pflege übernehmen. Doch bei so viel Intimität können sich bereits existierende Konflikte verschärfen. Deshalb ist es oft für alle Beteiligten besser, wenn ein Pflegedienst solche Aufgaben übernimmt. Auf der Demenzstation Sonnweid in Wetzikon schufen wir das Angebot, dass Erkrankte ein bis drei Nächte pro Woche bei uns verbringen können. Für die Angehörigen eine riesige Entlastung und eine wichtige Hilfe bei Demenz, da sie so endlich wieder mal ruhig schlafen konnten. 

Wann muss eine demente Person ins Heim?

Etwa, wenn die Intimpflege nicht mehr möglich ist und dies keine Pflegekraft übernehmen kann. Alleinstehende gehen in der Regel ein bis zwei Jahre früher ins Heim, weil niemand da ist, der ihre Defizite auffängt. 

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Eine Erkrankte weiss nicht mehr, wie der Fernseher ausgeht. Plötzlich denkt sie, in der Wohnung wären Menschen und gerät in Panik. Denn sie kann zwischen Realität und Fiktion nicht mehr unterscheiden. Ist hingegen ein Angehöriger da, kann er den Fernseher ausmachen und die Person beruhigen.  

Wie merkt man, dass man dement wird?

Oft durch soziale Fehlleistungen. Ein Beispiel: Ein Mann vergisst einen Arzttermin, den er in seiner Agenda notiert hat. Wenn er eine Woche später die Notiz sieht, realisierte er nicht, dass er einen solchen Termin hatte. 

Es muss schlimm sein, wenn man die Diagnose Demenz erhält. 

Am Anfang ist es furchtbar. Die Angst vor dem Kontrollverlust ist gross. Doch irgendwann übertritt man eine Schwelle – man weiss nicht mehr so richtig, was man macht. Dies nennt man auch die «entspanntere Phase der Demenz». Belastendes und Sorgen fallen weg, man nimmt sich selbst anders wahr. 

So vergisst man etwa die letzten 40 Jahre und denkt, man wäre wieder jung. Plötzlich erlebt man sich als 30-jährige Mutter und sucht verzweifelt seine kleinen Kinder. Für Aussenstehende ist es wichtig, solche Sorgen ernst zu nehmen und sich auf diese Gefühlsebene zu begeben. 

Wie lange dauert es, bis man seine Demenz Erkrankung nicht mehr richtig realisiert. 

Der Verlauf einer Demenz lässt sich schwer voraussagen, da es so viele Formen gibt. Oft dauert es aber nach der Diagnose acht bis zwölf Jahre. Deshalb ist es wichtig, sich im Anfangsstadium zu überlegen, was man noch regeln und erleben will. Oft kann man in dieser Phase eine gute Lebensqualität haben, wenn man sozial eingebunden ist. Auch mit Medikamenten und durch Vermeidung von Stress lassen sich der Verlauf verlangsamen. 

Was ist mit Sport oder gesunder Ernährung?

Sicher verbessert dies die Lebensqualität, aber ich bezweifle, dass man damit die Krankheit aufhalten kann. Viel wichtiger ist es, sich präventiv genügend zu bewegen und ausgewogen zu essen. Denn dadurch lassen sich viele Demenzfälle verhindern. Zu den weiteren Risikofaktoren für Demenz zählen unter anderem Stress, Alkoholmissbrauch, Übergewicht, geistige Inaktivität oder Schwerhörigkeit. 

Als Pfleger, Leiter einer Demenzstation und Buchautor, haben Sie Ihr ganzes Leben mit der Krankheit zu tun gehabt. Haben Sie manchmal Angst, dass es Sie selbst trifft?

Es bleibt eine schlimme Krankheit, aber das ist ja bei anderen Erkrankungen nicht anders. Sicher hätte auch ich Adaptionsprobleme und Angst vor dem Kontrollverlust. Doch ich würde mich damit arrangieren. Denn ich weiss, dass solche Sorgen irgendwann vorbei gehen und man trotz Demenz gut leben kann.  

Über Michael Schmieder 

Demenzexperte Michael Schmieder (67) ist Ethiker, Pfleger und Autor. 30 Jahre lang führte er die Sonnweid in Wetzikon ZH und setzte damit Massstäbe in der Betreuung und Pflege von demenziell Erkrankten. Heute gibt er sein Wissen an Referaten, Kursen und Medienbeiträgen weiter. Zudem ist er unter anderem engagiert bei alzheimer.ch, demenzwiki.ch und demenz.world

Er schrieb die Bücher “Dement, aber nicht bescheuert” und “Dement, aber nicht vergessen”, die 2017 und 2022 im Ulstein Verlag erschienen sind. Für sein Lebenswerk wurde er von der Paradiesstiftung Zürich (2017) und von Alzheimer Zürich (2018) geehrt.  

Seine Website: www.demenzexperte.ch 

Mehr Infos zum Limmex Demenzprojekt?

Alle neuen Artikel erhalten.

Kontakt

Sie benötigen noch mehr Informationen oder wollen die Limmex Notrufuhr kennenlernen? Dann einfach Formular ausfüllen, absenden und wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung.

Datenschutz

HINWEIS: Bei einem Klick auf den Button SENDEN kommt es nicht zu einem Vertragsabschluss.

Newsletter

Einfach ausfüllen und Ratgeber bekommen!

Einfach ausfüllen und Checkliste bekommen!

Einfach ausfüllen und Ratgeber bekommen!

Einfach ausfüllen und Ratgeber bekommen!

Einfach ausfüllen und 10% Rabatt sichern!

Gutschein 10%