Fliegen – kein Problem für Vreni Brun. Erst kürzlich zog sie einen dicken Anzug an und hob im Windkanal ab. Bodyflying nennt sich das und fühlt sich ähnlich an wie Fallschirmspringen.
Was sich wohl viele jüngere Leute nicht trauen, war für die 83-Jährige eine spannende Erfahrung: „Man braucht aber schon Vertrauen und einen guten Instruktor.“ Eine weitere Herausforderung: „Ich musste beim Fliegen immer schön in die Kamera schauen und die Mimik sollte stimmen.“
300 Produktionen in den letzten 20 Jahren
Denn Vreni Brun stieg nicht zu ihrem reinen Vergnügen, sondern für einen Werbedreh in den Windkanal. Für die Schauspielerin ein Auftrag von vielen. In den letzten 20 Jahren war sie in über dreihundert Spielfilmen, Kurzfilmen und Werbungen zu sehen – zum Beispiel als rappende Grossmutter in einem Werbespot der Migros, als Leiche in der TV-Serie „Der Bestatter“ oder als Patientin in einem Imagespiel für ein Spital. Immer wieder dreht sie mit bekannten Grössen aus dem Showbusiness, etwa mit dem Sänger Bligg oder dem bereits verstorbenen Schauspieler Bruno Ganz.
An eine solche Karriere hätte die junge Vreni Brun niemals gedacht. Sie wuchs in Interlaken in ärmlichen Verhältnissen auf, in der Schule mobbten sie ihre Lehrer. „Doch es machte mir schon immer Spass in andere Rollen zu schlüpfen und vor Publikum aufzutreten.“ Leider war dies nur selten möglich: „So durfte ich etwa beim Krippenspiel nicht die Maria spielen, weil ich angeblich zu blond und blauäugig war.“
Doch das hielt sie in den folgenden Jahren nicht von der Schauspielerei ab. Tagsüber arbeitete sie als Sachbearbeiterin beim Bund und abends spielte sie hobbymässig Theater. Ihr Können perfektionierte sie an Kursen im In- und Ausland. „An meiner Pensionierungsfeier sagte ich zum Spass, dass ich nun zum Film gehe.“ Nur wenige Wochen später fragte sie ein befreundeter Regisseur für eine Statistenrolle im Tatort an.
„Ich kann meine dunkle Seite ausleben“
„Das Schöne an der Schauspielerei ist, dass ich meine dunkle Seite ausleben kann.“ So spiele sie gerne eine Mörderin oder eine Leiche: „Aber ich habe auch kein Problem, eine strickende Grossmutter zu sein. Warum allerdings viele Regisseure ältere Frauen immer noch so darstellen, weiss ich auch nicht“, sagt sie und lacht.
Im echten Leben lismet Vreni Brun jedenfalls nicht. Stattdessen reist sie immer noch zu Produktionen in der ganzen Schweiz. Vor der Pandemie waren es 30 bis 40 pro Jahr, nun sind es um die 10 – manchmal kommen Aufträge als Fotomodel hinzu. „Ich mache heute, worauf ich wirklich Lust habe.“ Solche Drehs seien nicht ohne. An einem Tag ist man gerne mal 16 Stunden unterwegs.
Trotz der Strapazen ist Aufhören für sie momentan keine Option: „Ich habe immer Freude am Resultat und die Zusammenarbeit mit den jungen Leuten macht Spass.“ Auch halte sie die Schauspielerei körperlich und geistig fit: „Nur schon das Texte auswendig lernen, ist ganz schön fordernd.“
„Privat bin ich eher eigenbrötlerisch“
Privat sei sie eher eine Eigenbrötlerin: „Ich bin gerne allein und habe nur einige sehr gute Freunde.“ Doch von dieser Introvertiertheit merkt man nicht viel, wenn man mit Vreni Brun zu tun hat – sie gilt im Showbusiness als pfiffige Seniorin mit einer natürlichen Ausstrahlung und ohne Allüren.
Ebenso ist sie eine spannende und lebhafte Interviewpartnerin. So sieht man Vreni Brun durch ihre Wohnung tanzen, wenn sie von ihrer bevorzugten Sportart erzählt: „Ich habe das Glück, dass ich gesund bin.“ Ihr Alter merke sie kaum, obwohl: „Neulich probierte ich Spinning aus. Als ich auf diesem stationären Velo ins Schnufe kam, spürte ich schon, dass ich nicht mehr 50 bin.“
„Eine Notrufuhr ist eine geniale Erfindung“
Doch bei aller Lebensfreude wisse sie auch, dass die Gesundheit im Alter ein fragiles Gut sei: „Es kann jederzeit etwas passieren, etwa ein Sturz in der eigenen Wohnung.“ Deshalb sei die Notrufuhr eine geniale Erfindung: „Sie gibt Sicherheit und viele Senioren können so länger zu Hause leben.“
Vreni Bruns hat jedenfalls vor, noch so lange wie möglich in ihrer Wohnung im luzernischen Ebikon zu bleiben. Erst vor vier Jahren zog sie der Liebe wegen von Bern dorthin. Kann sich eine derart selbstbestimmte Frau wie sie vorstellen, irgendwann man von Pflege abhängig zu sein?
Vreni Brun denkt kurz nach und sagt: „Es wäre sicher nicht einfach, aber ich musste in meinem Leben schon vieles akzeptieren.“ Etwa als sie im Alter von 60 von ihrem Mann nach 35 Ehejahren überraschend verlassen wurde: „Plötzlich musste ich allein klarkommen und alles selbst organisieren.“ Rückblickend hatte die Scheidung aber ihr Gutes: „Sonst wäre ich wohl niemals zum Film gekommen und hätte meinen jetzigen Partner nicht im Internet kennengelernt.“