Viele erwachsene Kinder haben Angst, ihre betagten Eltern alleine zu lassen. Denn im Notfall ist niemand da, um ihnen zu helfen. Ein Notrufgerät schafft hier Sicherheit und erleichtert den Alltag. Trotzdem möchten viele ältere Menschen keines. Warum eigentlich und wie können sie überzeugt werden?
Die eigenen Eltern von einem Notrufgerät zu überzeugen, ist schwer. Das erfuhr Gülen Kul-Kül in ihrer Familie. Dabei ist die Baselbieterin Kundenberaterin bei der Schweizer Firma Limmex. Täglich erklärt sie Menschen die Vorteile von Notrufuhren und -knöpfen. Viel Überzeugungsarbeit muss sie dabei selten leisten. “Die Kunden melden sich selbst bei uns, weil sie sich mehr Sicherheit im Alltag wünschen.”
Etwa 50 Prozent der Anfragen erhält sie von den Angehörigen – meist von den erwachsenen Kindern: “Sie haben Angst, ihre Eltern in ihrer Wohnung alleine zu lassen.” Nicht verwunderlich, denn ein Sturz oder sonstiger Notfall kann im Alter schnell passieren. “Die Angehörigen befürchten, dass ihren Liebsten dann niemand helfen kann”, so Kul-Kül. Denn ein Telefon hat man nicht immer zur Hand – besonders nachts, wenn es aufgrund von Toilettengängen im Dunklen häufig zu Stürzen kommt. “Nicht selten liegen dann die älteren Menschen stundenlang auf dem Boden.” Ein Notrufknopf oder eine -uhr, die man stets am Körper trägt, kann dies vermeiden – auch weil ein Knopfdruck genügt, um nach Hilfe zu rufen.
“Es findet eine Art Rollentausch statt”
Spätestens dann möchten die meisten Angehörigen das Gerät sofort kaufen. Nur: Sie erfahren Widerstand von den potenziellen Trägerinnen und Trägern. “Wahrscheinlich haben diese Angst, von ihren eigenen Kindern als alt und hilfsbedürftig angesehen zu werden”, vermutet Gülen Kul-Kül. Es fände eine Art Rollentausch statt: “Als Eltern hat man sich jahrelang um seine Kinder gekümmert – und nun ist es andersherum.” Dies zu akzeptieren, falle nicht leicht.
Wie schnell alles anders sein kann, erlebte Gülen Kul-Kül bei ihrem Vater. Er lebt schon seit vielen Jahren mit Epilepsie, doch er kam damit stets gut zurecht. Vor einigen Monaten erlitt er jedoch einen Hirnschlag. Zum Glück habe er sich gut davon erholt: “Doch wer weiss, was passiert wäre, wenn meine Mutter nicht in der Nähe gewesen wäre.” Trotz rascher Behandlung war ein langer Spital- und Rehaaufenthalt nötig. “Ein Zimmernachbar erzählte meinem Vater, dass ihm ein Notfallknopf das Leben rettete.” Ihr Vater sei begeistert von dieser Möglichkeit gewesen. Deshalb schlug ihre Schwester vor, dass Gülen Kul-Kül ihm eine Notrufuhr besorgen könne. “Schliesslich bin ich ja an der Quelle und hätte ihm die Uhr sogar bezahlt.”
Warum eine Notrufuhr für Senioren sinnvoll sein kann
Eine Notrufuhr ist neben dem Telefon bzw. Handy eine zusätzliche Möglichkeit, sich dann verständlich zu machen, wenn man in eine Situation kommt, in der Sie auf fremde Hilfe angewiesen sind. Wenn der Gang zum Telefon nicht möglich ist oder die Bedienung des Telefons bzw. Handys schwerfällt, dann müssen Sie nur einen Knopf drücken. Und schon können Sie jederzeit eine andere Person oder die Notrufzentrale erreichen, damit die benötigte Hilfe organisiert wird.
“Man muss bereit sein für ein Notrufgerät”
Doch da habe ihr Vater abgeblockt – meinte, das brauche er doch nicht: “Vielleicht fühlte er sich von uns bevormundet.” Aus ihrer Erfahrung bei Limmex weiss sie, dass es nichts bringt, ihn zu überreden. “Man muss bereit sein für ein Notrufgerät und es auch tragen. Sonst ist dies nur verschwendet Geld.” Hinzukommt, dass ihre Mutter stets um ihren Vater herum sei. “Nur alleine zu seinem Schrebergarten lassen wir ihn jetzt nicht mehr gehen. Denn es kann jederzeit wieder zu einem Notfall kommen.”
Rat von Aussenstehenden kommt oft besser an
Viele ältere Menschen haben nicht ständig eine Bezugsperson in ihrer unmittelbaren Nähe. Häufig leben sie alleine und ihre Kinder müssen arbeiten. “Manche Angehörige drohen ihren Eltern gar mit dem Altersheim, wenn diese die Notrufuhr verweigern.” Gülen Kul-Kül findet, dass es nicht zu solchen Auseinandersetzungen kommen muss. “Manchmal suche auch ich das Gespräch mit den Senioren und frage, wo der Schuh drückt. Oft nehmen diese den Rat von Aussenstehenden besser an.”
Hilfreich ist häufig auch, wenn die Senioren das Gerät zuerst in einer Limmex-Verkaufsstelle ausprobieren können. “Oft sind sie überrascht, dass eine Notrufuhr wie eine ganz normale Uhr aussieht und ein Notrufknopf angenehm zu tragen ist.” Trotzdem kommt es nicht immer zum Kauf. “Manchmal finden wir auch eine andere Lösung oder der Entscheid kommt später.”
“Viele sind auch erst nach einem schlimmen Ereignis bereit”
“Leider sind viele Senioren erst nach einem schlimmen Ereignis bereit für ein Notrufsystem”, erzählt Paul Seiler, der jahrelang in der Kundenberatung im Bereich Notrufsysteme tätig war und weiss: „Wer etwa nach einem Sturz stundenlang auf dem Boden lag, diskutiert nicht mehr, ob ein Notrufgerät sinnvoll ist. Bei solchen Beratungen geht es nur noch um die Frage, welche Lösung optimal ist.“
Auch er wünscht sich, dass ältere Menschen bereits präventiv ein solches Gerät tragen, damit es gar nicht zur „Katastrophe“ kommt. Ein Patentrezept, um diese zu überzeugen, habe er jedoch nicht: “Ich würde meinem Angehörigen erklären, welche Folgen ein Notfall im Alter haben kann – auch wenn man sich topfit fühlt.” Natürlich sei bei solchen Gesprächen Fingerspitzengefühl gefragt: “Häufig ist es kontraproduktiv, die schlimmsten Schauergeschichten, wie sie nun mal in der Realität geschehen können, bis ins kleinste Detail auszuführen.”
Senioren machen die beste Werbung
Und manchmal können sich die Angehörigen auch den Mund fusselig reden – ohne Erfolg. Hier sind es die Senioren selbst, die am besten für ein Notrufgerät werben. Dies stellt Karoline Bussenius immer wieder bei den Senioren-Ausflügen fest, die sie begleitet.
Wenn ein Teilnehmer von seiner Notrufuhr oder seinem Notrufknopf schwärmt, möchten die anderen auch ein solches Gerät, erzählt sie: „Vielleicht nimmt dies ihnen die Scheu vor der Technik, wenn sie sehen, wie Gleichgesinnte davon profitieren und wieder aktiver am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.“